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ORTHOpress 01/2003

Knieprothesen - Neuartiger Kunststoff verlängert Lebensdauer

Wer vor etwas mehr als einemJjahrzehnt einen
Gelenkersatz benötigte, für den war meist die
sportlich aktive Zeit vorbei. Dies lag hauptsächlich an der zu erwartenden Lebensdauer der Kunstgelenke, die sich hauptsächlich durch maximale Schonung verbessern ließ - das jedoch aber auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Und immernoch liegt die Haltbarkeit der meisten Knieprothesen bei maximal etwa so bis 15 Jahren: Zu wenig, um auch Patienten diesseits der 5o lebenslang prothetisch zu versorgen. Da wundert es nicht, dass die Bestrebungen der Industrie vor allem darauf gerichtet sind, durch den Einsatz immer neuer Materialien den Verschleiß zu minimieren, um die Lebensdauer der Prothesen weiter zu steigern. Ein Durchbruch scheint jetzt dem Schweizer Medizintechnikhersteller Centerpulse mit dem Kunststoff „Durasul" gelungen zu sein. ORTHOpress sprach darüber mit dem Orthopäden Prof. Dr. Bernd M. Kabelka, Chefarzt der Orthopädischen Abteilung des Tabea-Krankenhauses in Hamburg-Blankenese.

Herr Prof. Kabelka, was begrenzt eigentlich die Lebensdauer einer Knieprothese?

Prof. Kabelka: In einem gesunden Gelenk finden - wie überall im Körper - ständig Regenerations-prozesse statt. Der Gelenkknorpel wird durch die Synovialflüssigkeit ernährt, welche gleichzeitig als
Schmiermittel für eine reibungslose Bewegung sorgt. Die ständige Beugung und Streckung des Kniegelenks wirkt dabei als eine Art Pumpfunktion, die sicherstellt, dass die Synovialflüssigkeit überall dort hingelangt, wo sie benötigt wird.

Diese natürlichen Vorgänge haben natürlich beim Kunstgelenk keine wirkliche Entsprechung mehr, da die aus Kunststoff bestehenden Gleitflächen nicht in irgendeiner Form "ernährt" werden. Sie
müssen also von Anfang an so konzipiert
sein, dass sie völlig wartungsfrei funktio nieren. Das ist bei modernen Prothesen auch der Fall, aber eben nicht lebenslang. Als begrenzender Faktor gilt auch heute noch insbesondere der Abrieb der Lauffläche. Während der millionenfachen Beugevorgänge werden immer
wieder mikroskopische Teilchen aus der Kunststoffoberfläche herausgerissen und sammeln sich im Gelenk.

Und diese führen dann zu einer Funktionseinschränkung, ähnlich wie beim sprichwörtlichen "Sand im Getriebe"?

Prof. Kabelka: Nicht nur. Es sind gleich mehrere Vorgänge, die letztendlich zur Auslockerung der Prothese führen. Zum einen vermindert der Abrieb natürlich zwangsläufig die Oberflächengüte der
Lauffläche, so dass zur Beugung rein theoretisch immer mehr Kraft aufgewendet werden muss. Die Oberfläche wird rauher- ganz ähnlich wie beim arthrotischen Gelenk, wo der ständige Knorpelverlust ein immer schnelleres Fortschreiten der Krankheit nach sich zieht. Da mit
diesem Abrieb anders als bei einer schweren Arthrose aber kein direkter Schmerzreiz mehrverbunden ist, fällt dieser Umstand zunächst nicht auf. Zum anderen geht man heute davon aus, dass der Abrieb im Gelenk eine entzündliche Reaktion auslöst, welche ihrerseits einen Knochenschwund begünstigt. Diese führt dann zur Auslockerung des Prothesenplateaus und damit über längere Zeit zur Instabilität. Ein weiterer Faktor, welcher hinzukommt, ist auch die Höhenminderung im Gelenk: Die Gleitflächen
werden immer dünner, so dass der das Kniegelenk führende Muskel-/Bandapparat an Spannung verliert.

 

Das soll nun miteinem neuartigen Kunststoff anders werden. Woraus besteht „Durasul" und welche Vorteile hat es? Prof. Kabelka: Seit Anfang der 60er Jahre werden die Laufflächen von Knieprothe sen aus Polyäthylen hergestellt. „Durasul" ist nun eine Weiterentwicklung, welche seit einigen Monaten für den künstlichen Kniegelenkersatz erhältlich ist. Da bei wird in einem speziellen Herstellungsprozess eine besondere Oberflächenvergütung geschaffen. Diese ist so widerstandsfähig, dass praktisch kein
Materialabrieb auftritt. Darüber hinaus macht die Veredlung die Gleitflächen unempfindlich für Oxidationsprozesse, die zur vorzeitigen Materialermüdung führen. Konventionelle Materialien zeigen hier in Untersuchungen eine Alterung, welche ihrerseits wieder zur Delamination führt - das heißt, die Oberfläche wird
durch Abschuppung sukzessive zerstört.

Wie immer in der Medizin zeigen ja erst Langzeituntersuchungen, wie es wirklich
um die Eigenschaften neuartiger Prothesen bestellt ist. Kann man hier bereits sagen, dass sich der neue Kunststoff er wartungsgemäß verhält?

Prof. Kabelka: Die Durasul-Einsätze sind auf dem AMTI-Kniesimulator des Massachusetts Institute of Technology (MIT) getestet worden, welcher eine Dauerbelastung des Kniegelenks realistisch
nachempfindet. Nach einer Simulation von über 10 Millionen Gangzyklen - dies entspricht in etwa der Belastung, welche eine Knieprothese in 10 Jahren aushalten muss - konnten keine Delamination
und nur extrem wenig Abrieb festgestellt werden. Man kann dahertatsüchlich davon ausgehen, dass sich damit die Lebensdauer der Prothesen erheblich steigern lässt.

Kann das neue Material nur bei Knieprothesen eingesetzt werden oder bietet sich der Einsatz auch für Hüftgelenkersatz an?

Prof. Kabelka: Auch bei Hüftgelenken, die bereits seit 1999 eingesetzt werden, erhofft man sich eine signifikante Erhöhung der Lebensdauer. Hier sind die Vorteile sogar möglicherweise noch größer, denn das verschleißarme Durasul ermöglicht
die Verwendung von größeren Hüftköpfen mit hoher Stabilität. Diese wurden ebenfalls mit 11 bzw. 27 Millionen Bewegungszyklen getestet, ohne dass ein Nachlassen der Oberflächengüte feststellbar gewesen wäre; tatsächlich war anhand der bei der Fertigung angebrachten Markierungen nachweisbar, dass kein Abrieb stattgefunden hatte: Bei herkömmlichen Prothesenmodellen sind diese Markierungen bereits nach erheblich weniger Bewegungszyklen sichtbar beschädigt. Auch die Marktüberwachungsstudien, welche in Deutschland und in Schweden durchgeführt wurden, zeigten, dass nach nur zwei Jahren bereits der geringere Verschleiß der Durasul-Oberflächen messbar war.

Wie beurteilen Sie die Bedeutung dieser Entwicklung für die Endoprothetik insgesamt?

Ich denke, dass mit der Durasul-Oberfläche eine Revolution in der Entwicklung des Gelenkersatzes eingeläutet worden ist - am Ende dieser Entwicklung könnte tatsächlich eine lebenslange prothetische Versorgung stehen, so dass viele
der heute nach einiger Zeit notwendigen Revisionseingriffe überflüssig werden.

Herr Prof. Dr. Kabelka, haben Sie herz-
lichen Dank für das Gespräch!

Prof Dr. Kabelka: „Ich denke, dass hiermit eine Revolution in der Entwicklung des Gelenkersatzes eingeläutet worden ist - am Ende dieser Entwicklung könnte tatsächlich eine lebenslange prothetische Versorgung stehen".